Geben.

Eine kleine Anekdote.

Lukas Wenning
2 min readJul 3, 2018

Ich habe erneut eine Nachtschicht hinter mir. Mein Rhythmus hat sich in den letzten Tagen verschoben. Meist bin ich wach bis die Sonne sich in ihrem warmen Naturell am Horizont zeigt. Ich arbeite gerne nachts. Im Rettungsdienst, an meiner Persönlichkeit, an meiner Zukunft.

Es war 21:20Uhr als wir dem Mann aufhalfen. Um uns herum standen kleine Tische, alle besetzt mit Studenten, die das abendliche Klima genossen. Ein verschleimter Husten durchstach diese Atmosphäre. Unser Patient sah sehr alt und erschöpft aus, wie so viele Menschen, die auf der Straße leben. Schutzlos den Elementen ausgeliefert verlieren Sie nach und nach die Essenz, die uns so lebendig macht. Das Glänzen in Ihren Augen weicht einer tiefen Traurigkeit. Während der routinemäßigen Diagnostik im Rettungswagen fing er plötzlich an zu weinen und schlug seine dreckigen Hände über dem Gesicht zusammen. In gebrochenem Deutsch erzählte er uns, dass seine Frau mit 230km/h von der Fahrbahn abgekommen sei und sich mehrmals überschlagen hatte. Sie starb noch am gleichen Tag. Er verlor seinen Job, griff zur Flasche und fand sich Tag für Tag in einem unruhigen Schlaf auf dem harten, steinigen Asphalt wieder.

Trotz all dem strahlte er eine tiefe Aufrichtigkeit aus. Jeder Mensch hat seinen Leidenskampf, der viel zu oft stumm bleibt und mit seinem Schöpfer ins Grab geht.

In solchen Momenten fragen wir Menschen uns niemals ob wir hätten mehr nehmen können, sondern immer wieso wir nicht mehr gegeben haben.

Er hätte seiner Frau gerne noch ein einziges Mal gesagt, dass er Sie liebt. Wir hätten unsere Großeltern, Eltern, Geschwister, Kinder, Freunde gerne ein einziges Mal mehr in den Arm genommen, als wir es in Wahrheit getan haben.

Im Endeffekt geht es immer darum, was wir gegeben haben. Merk dir das.

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Lukas Wenning
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Written by Lukas Wenning

The emergence of life from the dark chrysalis of matter 🌿

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